
Das Humboldt Forum, dessen äußere Hülle als detailgetreue Rekonstruktion des Berliner Schlosses fungiert, steht symbolisch für eine idealisierte Erinnerung an die preußische Monarchie und das Deutsche Kaiserreich. Die Rekonstruktion vernachlässigt jedoch die komplexe, oft schmerzhafte Geschichte des Ortes.
Durch die künstlerische Intervention »Re*Re*Re*konstruktion« sollen die verdrängten historischen Schichten des Ortes an der Fassade des Humboldt Forums sichtbar gemacht werden. Mehrere sogenannte Musterfassaden werden im Maßstab 1:1 vor die rekonstruierte Fassade des Berliner Schlosses angebracht. Die Musterfassaden sind rekonstruierte Fragmente der verschiedenen Architekturen, die an diesem Ort gestanden haben, und ihrer Zustände (z.B. Kriegszerstörung). In Schwarz-Weiß ausgeführt sollen diese eine nüchterne, vergleichbare Ästhetik erzielen, die die geschichtlichen Brüche markieren. Als Fragmente der Vergangenheit holen die Musterfassaden die verschiedenen historischen Epochen, die das Schloss und seinen Standort geprägt haben, in die Gegenwart. Somit soll die Rekonstruktion als künstlerische Methode verwendet werden, um die verdeckten Schichten offenzulegen. Die Musterfassaden sollen sich an allen Seiten befinden und auch den Schlüterhof mit einschließen und zu einem permanenten Bestandteil des Humboldt Forums werden.
Jede der Musterfassade visualisiert einen zentralen Moment in der Geschichte des Ortes und der Architektur. Nachfolgend vier Beispiele, die aber nicht als abschließend zu betrachten sind:
1. Zerstörung des Schlosses im Zweiten Weltkrieg: Ein Fragment der Fassade wird als Kriegsruine inszeniert, das die physischen und kulturellen Verwüstungen des Krieges thematisiert.
2. Marx-Engels-Platz: Nach der Sprengung des Schlosses diente der entstandene Platz in den 1950/60er Jahre als Aufmarschplatz. Ein Fragment der seinerseits an dem Ort befindlichen Tribüne soll im Schlüterhof installiert werden.
3. Palast der Republik: Ein weiteres Fragment soll die ästhetische Sprache des Palast der Republik aufgreifen, der die sozialistische Ära und die Zeit der DDR repräsentiert und damit auch die Diktatur der DDR widerspiegelt.

4. Bau der Rekonstruktion: Ein Fragment zeigt den Rohbau des Humboldt-Forums. Das Aufzeigen der Betonhülle, die als Baukörper heute durch die Scheinfassade überdeckt ist, entblößt die Rekonstruktion und entromantisiert den Bau.
Musterfassaden in der Architektur als Visualisierung für ein zukünftiges Stadtbild dienen dazu, gestalterische und und technische Aspekte einer Fassade zu erproben und die Entwurfsentscheidungen zu überprüfen. Im Bezug auf das Humboldt Forum ermöglichen die Musterfassaden die vielschichtige Geschichte des Ortes für die Öffentlichkeit erfahrbar und damit debattierbar zu halten. Sie brechen die Homogenität der jetzigen Rekonstruktion auf und konfrontieren die Betrachter:innen mit der Vielfalt der zeitlichen und baulichen Schichten, die der Ort durchlaufen hat. Dadurch entsteht ein Dialog zwischen der rekonstruierten Fassade des Schlosses und den Fragmenten. Durch die bewusste Veränderung der äußeren Erscheinung wird nicht nur die Geschichte kritisch beleuchtet, sondern auch eine permanente Reflexion über Architektur als Medium der Geschichtsinterpretation und der Machtausübung ermöglicht. Die Intervention stellt die Rekonstruktion des Berliner Schlosses in seiner heutigen Form infrage.
In einer pluralen Gesellschaft ist es wichtig, Architektur als etwas zu verstehen, das Ausdruck von Gesellschaft, Politik und Macht ist. Fassaden prägen als sichtbare Zeichen den Stadtraum und können deshalb dazu beitragen, Geschichte mit all ihren Facetten anwesend zu halten. Ein rekonstruiertes homogenes Stadtbild verbirgt Zeitschichten, negiert Brüche und verherrlicht Vergangenheit. Ein heterogenes Stadtbild trägt dazu bei, dass eine kritische Begegnung mit Geschichte stattfinden kann und ein plurales Erinnern ermöglicht wird.

Die Intervention »Re*Re*Re*konstruktion« schafft eine Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dieses zentralen Berliner Ortes, indem sie die historische Komplexität und die Konflikte sichtbar macht und dadurch einen Raum für Reflexion und Dialog schafft.
Situation Room sind Sven Bergelt (*1983 in Freiberg/Sachsen) und Kai-Hendrik Windeler (*1985 in Neuss) und arbeiten seit 2014 gemeinsam in Leipzig. Beide studierten Kommunikationsdesign, Fotografie und Medienkunst an der Muthesius Kunsthochschule Kiel und der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Situation Room realisiert ortsspezifische und raumgreifende Interventionen und Installationen im öffentlichen Raum, die sich mit architektonischen und gesellschaftlichen Prozessen auseinandersetzen. Im Zusammenspiel zwischen dem vorhandenen räumlichen Kontext und ihren Installationen definieren sie Räume und Orte neu und hinterfragen vertraute Sichtweisen. Ihre Projekte zu den Themenfeldern Stadtentwicklung, Erinnerungskultur und Archivierung bewegen sich an der Schnittstelle von Architektur, Kunst und Design. Beispielsweise haben sie sich im Bezug auf die Rekonstruktion der Garnisonkirche in Potsdam mit der komplexen Frage nach Authentizität in der Architektur beschäftigt. In dem Kunst-am-Bau-Projekt der neuen Spielstätte des Nationaltheater Mannheim thematisierten sie die militärhistorische Vergangenheit des Standorts und dessen Transformation. Auf Einladung nahmen sie 2024 an dem Wettbewerb für das Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal zur Erinnerung an die Friedliche Revolution teil.
Webseite: www.situationroom.de
Re*Re*Re*construction
The Humboldt Forum, whose outer shell functions as a detailed reconstruction of the Berlin Palace, symbolises an idealised memory of the Prussian monarchy and the German Empire. However, the reconstruction neglects the complex, often painful history of the site.
The artistic intervention ‘Re*Re*Re*Construction’ aims to make the suppressed historical layers of the site visible on the façade of the Humboldt Forum. Several so-called model façades will be placed on a 1:1 scale in front of the reconstructed façade of the Berlin Palace. The model façades are reconstructed fragments of the various architectures that have stood on this site and their conditions (e.g. wartime destruction). Executed in black and white, they are intended to achieve a sober, comparable aesthetic that marks the historical breaks. As fragments of the past, the model façades bring the various historical epochs that have characterised the castle and its location into the present. Reconstruction is thus to be used as an artistic method to reveal the concealed layers. The model façades are to be located on all sides and also include the Schlüterhof and become a permanent part of the Humboldt Forum.
Each of the model façades visualises a central moment in the history of the site and the architecture. The following four examples are not to be regarded as exhaustive:
1. Destruction of the palace during the Second World War: a fragment of the façade is staged as a war ruin that thematises the physical and cultural devastation of the war.
2. Marx-Engels-Platz: after the palace was demolished, the resulting square served as a parade ground in the 1950/60s. A fragment of the grandstand located on the site is to be installed in the Schlüterhof.
3. Palace of the Republic: Another fragment is to take up the aesthetic language of the Palace of the Republic, which represents the socialist era and the time of the GDR and thus also reflects the dictatorship of the GDR.
4. Construction of the reconstruction: A fragment shows the shell of the Humboldt Forum. Showing the concrete shell, which is now covered by the mock façade, exposes the reconstruction and de-romanticises the building.
Sample façades in architecture as a visualisation for a future cityscape serve to test the design and technical aspects of a façade and to review the design decisions. With regard to the Humboldt Forum, the model façades allow the public to experience and thus debate the complex history of the site. They break up the homogeneity of the current reconstruction and confront the viewer with the variety of temporal and structural layers through which the site has passed. This creates a dialogue between the reconstructed façade of the palace and the fragments. The deliberate change to the external appearance not only sheds a critical light on history, but also enables permanent reflection on architecture as a medium for interpreting history and exercising power. The intervention questions the reconstruction of the Berlin Palace in its current form.
In a pluralistic society it is important to understand architecture as something that is an expression of society, politics and power. Facades characterise the urban space as visible signs and can therefore contribute to keeping history present in all its facets. A reconstructed homogeneous cityscape conceals layers of time, negates ruptures and glorifies the past. A heterogeneous cityscape contributes to a critical encounter with history and enables plural remembrance.
The intervention ‘Re*Re*Re*Construction’ creates a bridge between the past, present and future of this central Berlin location by making the historical complexity and conflict visible and thus creating a space for reflection and dialogue.
Situation Room are Sven Bergelt (*1983 in Freiberg/Saxony) and Kai-Hendrik Windeler (*1985 in Neuss) and have been working together in Leipzig since 2014. Both studied communication design, photography and media art at the Muthesius Academy of Fine Arts and Design Kiel and the Academy of Visual Arts Leipzig. Situation Room realizes site-specific and expansive interventions and installations in public spaces that deal with architectural and social processes. In the interplay between the existing spatial context and their installations, they redefine spaces and places and question familiar perspectives. Their projects on the topics of urban development, remembrance culture and archiving operate at the interface of architecture, art and design. For example, in relation to the reconstruction of the Garnisionskirche in Potsdam, they dealt with the complex question of authenticity in architecture. In the art-in-architecture project for the new venue of the Nationaltheater Mannheim, they addressed the site’s military-historical past and its transformation. In 2024, they were invited to take part in the competition for the Freiheits- und Einheitsdenkmal (Freedom and Unity Memorial) in Leipzig to commemorate the Peaceful Revolution.
Webseite: www.situationroom.de