
Vom kolonialen Museum zum »Museum des Kolonialismus« (MdK)
Das Humboldt Forum zeigt Völkerkundesammlungen aus kolonialen Kontexten im wieder errichteten Schloss der Hohenzollern. Für viele Menschen, insbesondere für BIPoC (Black, Indigenous, and People of Color), ist dieses Kulturprojekt aber nicht nur ein Symbol für den Prunk und die Pracht der Preußen, sondern auch für die Ausbeutung und Unterdrückung des Globalen Südens während des Deutschen Kolonialismus. Immerhin war das Stadtschloss der Hohenzollern das politische Zentrum des Deutschen Reichs. Viele weiß-Deutsche blenden diesen Teil der Geschichte jedoch aus. Sie nutzen das Humboldt Forum im wieder errichteten Schloss als Projektionsfläche für ihr unkritisches Selbstbild, um eine preußisch-europäische Identität als “Dichter und Denker” nach dem Vorbild der Gebrüder Humboldt zu konstruieren. In diesem anachronistischen Setting eines imperialen Machtzentrums kann das Projekt der Dekolonisation von Völkerkundesammlungen aus kolonialen Kontexten nie gelingen. Um dieses Kulturzentrum weiß-deutscher Identitätspolitik für die gesamte postmigrantische Gesellschaft fruchtbar zu machen, ist es notwendig, nicht nur dessen Architektur zu dekolonisieren, sondern vor allem auch dessen museale Mission. Unser Konzept transformiert dieses koloniale Museum in ein »Museum des Kolonialismus«.
Im Sinne einer nachhaltigen Nutzung bestehender musealer Infrastrukturen kann fast alles so bleiben, wie es ist: Das Schloss kann bleiben. Es symbolisiert auf ideale Weise den deutschen Kolonialismus. Das Kuppelkreuz und das christliche Spruchband können bleiben, da sie die Rolle der Kirche im Deutschen Imperialismus treffend veranschaulichen. Selbst die geplante Gigantentreppe kann, sofern finanzierbar, noch kommen – Welch passendes Sinnbild deutschen Größenwahns! Was es jedoch braucht, ist eine neue Rahmung.
Dafür wird der postmoderne Bau um eine modulare Architektur aus Frachtcontainern erweitert, die den Besucher*innen neue Perspektiven zweiter Ordnung auf das preußische Schloss und das Museum eröffnet. Diese Containerbauten bilden sowohl physische als auch metaphorische Barrieren zwischen Stadtraum und Bestandsgebäude. Sie können als Skulpturen, Aussichtsplattformen und Ausstellungshallen in flexiblen Anordnungen zu den Balkonen und Portalen des Schlosses positioniert werden und dadurch die Außenflächen des Schlossplatzes aktivieren. Die Frachtcontainer stellen dabei eine symbolische Verbindung zwischen historischen Kolonialstrukturen und modernen globalen Handelsbeziehungen her. Sie repräsentieren die Schattenseiten der Globalisierung als Kontinuitäten des Ressourcenkolonialismus. Sie lenken den Blick der Besucher*innen auf die Distributionswege der Konsumwirtschaft und die Ausbeutung von Menschen in Minen, Sweatshops und Fabriken. Was von der Schlossfassade bislang verdeckt wurde, wird als koloniale Gier offengelegt.
So verändert der Dialog zwischen dem barock-modernen Gebäude und den Containerbauten die Ausrichtung des Bestandsmuseums und damit auch die Lesart seiner ethnologischen Ausstellungen grundlegend. Während das Humboldt Forum im Berliner Schloss bisher den Fokus auf „andere“ Kulturen richtete, oft durch eine kolonial-rassistische Linse, verschiebt das »Museum des Kolonialismus« diesen Blick nun auf das koloniale, weiße Selbstbild. Die modulare Containerarchitektur schafft dazu neue Räume für Austausch, Debatten und Kunst. In ihnen können diskursive Impulse aus anderen Teilen der Welt nach Berlin verfrachtet werden. Hier können postkoloniale Perspektiven auf Deutschland, seine imperiale Vergangenheit und seine wirtschaftliche Abhängigkeit vom Extraktivismus an das Museum andocken.
Christoph Balzar und Fabian von Ferrari
Dr. Christoph Balzar (*1980 in Hirschau, wohnhaft in Berlin) ist Kunsthistoriker, Museumskurator. Er hat an der Hochschule für Gestaltung in Aachen Visuelle Kommunikation und Fotografie studiert und sich im Rahmen eines Austauschprogramms an der Technischen Universität Sydney mit Aboriginal Cultures and Philosophies beschäftigt. Seinen Masterabschluss in Curatorial Studies erlangte er an der Universität der Künste Berlin, wo er sich auf museologische und kuratorische Themen spezialisierte. 2021 promovierte er am Kunsthistorischen Institut der Universität Bonn zu den Themen Dekolonisierung ethnologischer Museen und epistemische Gewalt von ethnografischen Sammlungen. Dr. Balzar lehrt an verschiedenen Universitäten, darunter die Universität der Künste Berlin, die Universität Potsdam und die Alice Salomon Hochschule Berlin, und ist als Kurator an internationalen Projekten beteiligt. Er arbeitet regelmäßig mit privaten und öffentlichen Institutionen in den Bereichen Provenienzforschung und kulturelles Erbe zusammen und engagiert sich in Netzwerken wie ICOM Deutschland und Decolonize Berlin. Zudem ist er Gründungsmitglied von BARAZANI.berlin und kuratiert den dekolonialen Projektraum Spreeufer in Berlin-Mitte.
Webseite: www.christophbalzar.com
Fabian von Ferrari (*1979 in Amberg) ist Architekt mit einem Fokus auf die Schnittstellen von Architektur und gesellschaftlichem Diskurs. Nach seinem Architekturstudium an der Bauhaus-Universität Weimar und der ETSA Madrid arbeitete er in verschiedenen Architekturbüros, bevor er 2011 das multidisziplinäre Architektur- und Designbüro Studio F / F in Berlin gründete, das maßgeschneiderte räumliche Identitäten und modulare Designlösungen entwickelt. 2018 gründete von Ferrari zusammen mit Florian Walter die Architektenpartnerschaft FFFW Architekten (von Ferrari & Walter Architektenpartnerschaft mbB), um den Arbeitsradius um hoch- und städtebauliche Themen zu erweitern. Ihre Arbeit verbindet architektonische Praxis mit konzeptionellen Ansätzen, um innovative Räume zu schaffen, die sowohl ästhetische als auch gesellschaftliche Aspekte berücksichtigen. In Wettbewerben und projektbezogenen Kooperationen, u. a. mit Christoph Balzar, entstehen so interdisziplinäre Projekte, die neue Perspektiven auf historische und erinnerungskulturelle Themen eröffnen und zur kritischen Auseinandersetzung einladen.
Webseiten: www.fabianvonferrari.com, www.fffw-arch.com
Museum of Colonialism (MdK)
From colonial museum to ‘Museum of Colonialism’ (MdK)
The Humboldt Forum displays ethnological collections from colonial contexts in the rebuilt Hohenzollern Palace. For many people, especially BIPoC (Black, Indigenous, and People of Colour), this cultural project is not only a symbol of the splendour and magnificence of the Prussians, but also of the exploitation and oppression of the Global South during German colonialism. After all, the Hohenzollern city palace was the political centre of the German Empire. However, many white-Germans ignore this part of history. They use the Humboldt Forum in the rebuilt palace as a projection surface for their uncritical self-image in order to construct a Prussian-European identity as ‘poets and thinkers’ modelled on the Humboldt brothers. In this anachronistic setting of an imperial centre of power, the project of decolonising ethnological collections from colonial contexts can never succeed. In order to make this cultural centre of white-German identity politics fruitful for the entire post-migrant society, it is necessary to decolonise not only its architecture, but above all its museum mission. Our concept transforms this colonial museum into a ‘museum of colonialism.’
In terms of the sustainable use of existing museum infrastructure, almost everything can remain as it is: the castle can stay. It symbolises German colonialism in an ideal way. The domed cross and the Christian banner can remain, as they perfectly symbolise the role of the church in German imperialism. Even the planned gigantic staircase can still come, if it can be financed – what a fitting symbol of German megalomania! What is needed, however, is a new framing.
Therefore, the postmodern building will be extended by a modular architecture made of freight containers, which will open up new second-order perspectives on the Prussian palace and the museum for visitors. These container structures form both physical and metaphorical barriers between the urban space and the existing building. They can be positioned as sculptures, viewing platforms and exhibition halls in flexible arrangements to the balconies and portals of the palace, thereby activating the outdoor areas of the palace square. The freight containers form a symbolic link between historical colonial structures and modern global trade relations. They represent the dark side of globalisation as a continuity of resource colonialism. They draw visitors‘ attention to the distribution channels of the consumer economy and the exploitation of people in mines, sweatshops and factories. What was previously concealed by the palace façade is revealed as colonial greed.
The dialogue between the baroque-modern building and the container structures fundamentally changes the orientation of the existing museum and thus also the way its ethnological exhibitions are read. While the Humboldt Forum in the Berlin Palace previously focussed on ‘other’ cultures, often through a colonial-racist lens, the ‘Museum of Colonialism’ now shifts this view to the colonial, white self-image. The modular container architecture creates new spaces for exchange, debate and art. In them, discursive impulses from other parts of the world can be transported to Berlin. Here, post-colonial perspectives on Germany, its imperial past and its economic dependence on extractivism can dock onto the museum.
Christoph Balzar / Fabian von Ferrari
Dr. Christoph Balzar (*1980 in Hirschau, lives in Berlin) is an art historian and museum curator. He studied Visual Communication and Photography at the Hochschule für Gestaltung in Aachen and studied Aboriginal Cultures and Philosophies as part of an exchange program at the Technical University of Sydney. He obtained his Master’s degree in Curatorial Studies at the Berlin University of the Arts, where he specialized in museological and curatorial topics. In 2021, he completed his PhD at the Institute of Art History at the University of Bonn on the decolonization of ethnological museums and the epistemic violence of ethnographic collections. Dr. Balzar teaches at various universities, including the Berlin University of the Arts, the University of Potsdam and the Alice Salomon Hochschule Berlin, and is involved in international projects as a curator. He regularly works with private and public institutions in the fields of provenance research and cultural heritage and is involved in networks such as ICOM Germany and Decolonize Berlin. He is also a founding member of BARAZANI.berlin and curates the decolonial project space Spreeufer in Berlin-Mitte.
Website: www.christophbalzar.com
Fabian von Ferrari (*1979 in Amberg) is an architect with focus on the intersections between architecture and social discourse. After studying architecture at the Bauhaus University Weimar and ETSA Madrid, he worked in various architecture firms before founding the multidisciplinary architecture and design office Studio F / F in Berlin in 2011, which develops tailor-made spatial identities and modular design solutions. In 2018, von Ferrari founded the architectural partnership FFFW Architekten (von Ferrari & Walter Architektenpartnerschaft mbB) together with Florian Walter in order to expand the scope of their work to include structural and urban planning issues. Their work combines architectural practice with conceptual approaches to create innovative spaces that take both aesthetic and social aspects into account. In competitions and project-related collaborations, including with Christoph Balzar, she creates interdisciplinary projects that open up new perspectives on historical and cultural memory issues and invite critical debate.
Websites: www.fabianvonferrari.com, www.fffw-arch.com